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Hoffnung leben

Konzept der sozialen Plastik des Künstlers Joseph Beuys

Foto Nina Lamiel Bruchhaus

Berlin, 24.11.2021

Gelebte soziale Plastik auf Lesbos.


Erfahrungsbericht vom Filzen auf Lesbos mit dem Verein Hoffnung leben e.V.

Schon seit einigen Jahren beschäftigte mich das Thema Flucht und die Situation von Geflüchteten
in Deutschland und Europa, die Lage an Europas Außengrenzen und im Speziellen auch die
Unterbringungen Geflüchteter in Griechenland. Ich wollte mir unbedingt selber ein Bild machen
vor Ort und so gebar ich den Wunsch ein Projekt dort anzubieten. Als Künstlerin hatte mich
Griechenland schon seit längerem angezogen, da ich gehört hatte das Athen eine lebendige und
interessante Kunstszene beherbergt, was sich auf dem viertägigen Aufenthalt bevor ich die Fähre
nach Lesbos nahm, auch bestätigte.


In meiner Phantasie hatte meine Projektidee zunächst keine konkrete Form und auf keinem Fall
wollte ich etwas anbieten, das unter Umständen weder den Geflüchteten noch mir etwas nützte
oder wobei ich mich fehl am Platz fühlen konnte. Ich hatte keine Ahnung davon was mich
erwartete und dementsprechend einige Sorgen.


Auf den Verein „Hoffnung leben e. V.“ und auf Ursula Zednicek bin ich durch die Doku des WDR
„Ursulas Insel der Hoffnung“ aufmerksam geworden. Nachdem ich die Doku zu Ende gesehen
hatte und mich in einem Wechselbad von Rührung, über Ursulas pragmatisches, menschliches
und überaus sinnvolles Engagement auf Lesbos, sowie der großen Trauer über die Tragik der
Situation befand, schrieb ich kurzerhand eine Email an den Verein mit meinem Projektangebot.


Die Doku zeigte Ursulas privates Engagement für Geflüchtete auf Lesbos und erklärt wir ihr Verein
daraus hervor ging. Sie schilderte ihre Vorstellungen von zukünftigen Projekten, die in der von ihr
eingerichteten Werkstatt auf Lesbos stattfinden sollten. Ich konnte mir irgendwie direkt ganz gut
vorstellen, dass unsere Vorstellungen zusammenpassen würden. In den letzten Monaten zuvor
hatte ich das Filzen im Zuge meiner künstlerischen Arbeit begonnen und vertieft und Ursula
erzählte in der Doku, dass sie Filzwolle von Inselschafen zusammen mit Einheimischen und
Geflüchteten aufgearbeitet hatte und diese nun darauf wartete verfilzt zu werden.

So kamen meine und Ursulas Projektidee recht schnell zusammen und sie freute sich über mein Angebot.

In mehreren Zoom-Meetings lernten wir uns kennen und stellten das Kursprogramm auf.
Die Grundidee des Projekts war es einerseits, alles vom Inselschaf zu verwenden. Auf Lesbos
werden viele Schafe gehalten, meistens wird aber nur das Fleisch für den Verzehr genutzt und der
Rest vom Tier weggeworfen. Die zunächst vom Müll gesammelte Wolle wurde schon in einem
ersten Schritt von Ursula und Geflüchteten afghanischen Bauern sowie Griechinnen aufbereitet.
Andererseits übernahm nun ich als Künstlerin und „Filz-Expertin“ die Aufgabe Interessierten
Anregungen zum Filzen zu geben und zu zeigen, was aus diesem kostbaren Rohstoff hergestellt
werden kann. Zudem konnten sich die Geflüchteten ebenfalls brauchbare und/ oder wärmende
Gegenstände für das unangenehme Leben im Camp unter widrigen Bedingungen herstellen. Auch
stellte die Tätigkeit in einem geschützten Raum eine seltene Gelegenheit zur Entspannung für sie
dar.


Im Oktober bot ich für zweieinhalb Wochen täglich im Ariadne, der Textil-Werkstatt des Vereins,
das Filzen an. An Vormittagen für geflüchtete Frauen, zum Teil aus dem Camp in der Nähe von
Mythilini, an einigen Abenden und am Wochenende auch für Griechen und Griechinnen unter
anderem in einer Second-Chance-Schule in Kalloni. Die Kooperation mit der Schule kam durch
den Leiter einer befreundeten griechischen NGO zu Stande, sowie durch das Engagement einer
jungen Lehrerin an dieser Schule, welche uns netter Weise auch als Übersetzerin zur Seite stand.
Ursula unterstützt mich wann immer sie konnte tatkräftig bei der Umsetzung der Kurse.


Besonders in Erinnerung geblieben ist mir eine Mutter und ihre Tochter aus Afghanistan, die
derzeit im Camp leben. Die Tochter, die so um die zehn Jahre alt war, war meiner Meinung nach
enorm künstlerisch begabt und erinnert mich an mich als ich ein Kind war. Die Begeisterung und
Leichtigkeit sowie die Liebe zum Detail, mit der sie filzte und malte war beeindruckend. Ich
wünsche ihr und hoffe für sie, dass sie alle ihre Träume und Fähigkeiten in einer neuen Heimat
leben können wird.


Ein anderer Moment, der mir stark in Erinnerung blieb, war ein Samstag Nachmittag im Ariadne,
an dem zwei Mütter auch aus dem Camp mit ihren Kindern zum filzen kamen. Es war wunderbar
zu sehen, wie die Mütter ganz darin versanken die Filzbilder anzufertigen und man ihren Seufzern
anhören konnte, dass sie sich in einem seltenen Moment der Entspannung von den täglichen
Strapazen auf der Flucht befanden. Anhand dieser Momente konnte ich ablesen, wie wichtig der
Ort war, den wir erschaffen hatten und wie dringend gebraucht er war. Das hat mich sehr berührt
und meine Erwartungen an das Projekt übertroffen.


Dadurch das das Konzept des Vereins und des Filz-Projekts auf einem Miteinander beruht und
darauf aufbaut, den interkulturellen Austausch zwischen Geflüchteten, Einheimischen,
Touristinnen und freiwilligen Helferinnen zu ermöglichen, war ich gleich an das Konzept der
sozialen Plastik des Künstlers Joseph Beuys erinnert. Durch seine Theorie, dass jeder Mensch ein
Künstler ist und sich jeder Mensch durch seine Kreativität aktiv in die Gesellschaft einbringen
kann und diese dadurch geformt und gestaltet wird, erweiterte er den Kunstbegriff in den 80er
Jahren. Es ist großartig zu sehen, dass Konzepte dieser Art bis heute bestehen und ich sehe ein
großes Potential mit einer solchen Herangehens- und Denkweise zukünftige gesellschaftliche
Herausforderungen, wie das der Migration, proaktiv anzugehen.


Zukünftig möchte Ursula das Projekt weiter ausbauen und kann sich vorstellen im nächsten Jahr
die Inselschafwolle selber mit Naturfärbetechniken zu färben und auch die Olivenölseife zum
Filzen selber herzustellen. Ich könnte mir gut vorstellen Ursula und den Verein Hoffnung leben e.V.
dabei oder bei anderen Aufgaben zukünftig noch einmal zu unterstützen. Eine junge griechische
Studentin, die Interesse am Filzen hat und Griechisch und Englisch Unterricht im Ariadne anbietet,
hatte die Idee für einen Weihnachtsbasar mit gefilzten Produkten. Mit etwas Vorlaufzeit wäre auch
das ein tolles zukünftiges Projekt.


Abschließend lässt sich sagen, dass ich für die Erfahrungen die ich während des Filz-Projekts auf
Lesbos mit dem Verein Hoffnung leben e.V. machen durfte sehr dankbar bin und dass ich sie als
überaus wertvoll empfinde. Die Stimmung während der Kurse war großartig und von Dankbarkeit,
Interesse, Wissbegierde, Tatkraft, Freude, Spaß, Erleichterung und vielem mehr geprägt. Ich
konnte faszinierende, starke und inspirierende Persönlichkeiten kennen lernen, die voller Mut und
Tatkraft waren. Die Erinnerungen an die Zeit wirken noch sehr stark nach, haben meinen Horizont
erweitert und werden sich sicherlich noch über längere Zeit in künstlerischen Arbeiten
manifestieren.

Eine Rückkehr nach Lesbos ist für mich auf jeden Fall auch nicht ausgeschlossen.
Nina Bruchhau